2013, die erste Geschichte von "mit dem Radl aufs Stilfser Joch". Ich war 60 Jahre alt und suchte nach Herausforderungen. 2020 dann die zweite Geschichte von "mit dem Radl aufs Stilfser Joch" Da war ich 67 Jahre alt aber leichter an Gewicht und besser vorbereitet. Eine ganz andere Geschichte... bleiben wir aber zunächst bei ,die Erste..
Der Tagesplan stand, 6 Uhr aufstehen, duschen ,frühstücken und danach los. Ich wollte spätestens um 9 Uhr inPrad in Südtirol sein um endlich das Stilfser Joch abhaken zu können. Diese wunderschöne Straße hoch zur Passhöhe (2757m). Danach ins Montafon um Schatzi zu besuchen die dort zur Reha weilt. Das Radl hatte ich schon den Abend vorher im Auto verstaut. Also nur noch Klamotten zum umziehen und eine kleine Tasche zum übernachten im Montafon. Klasse, an alles gedacht, Trinkflaschen , Energieriegel, noch neue Bremsbeläge am Radl, nur an eins nicht und das fiel mir ein als ich auf die Inntalautobahn auffahren wollte. Ich hatte kein Geld mit. Die Geldtasche lag daheim im Flur auf der Ablage. Meine gute Stimmung war dahin. Es gibt nichts schlimmeres als das mir mein Tagesplan versaut wird. Also wieder zurück. Naja, die halbe Stunde werde ich unterwegs wieder aufholen mit etwas mehr Tempo. Als Ruheständler und somit zeitlos vergisst man aber das Ferienzeit war, Wochenende, Bettenwechsel in den Hotels und die Urlauber die Straßen verstopften. Am Reschenpass war ich schon so genervt von den Langsamfahrern und Landschaftsguckern und kurz vor dem ausrasten. Außerdem machte mir meine Bronchitis zu schaffen die ich mir wieder mal auf irgendeiner Radltour zugezogen hatte und die nicht vollständig auskuriert war. Damit kamen auch Zweifel auf ob es das richtige war heute mit dem Radl auf 2757m hochzufahren. Aber der Wetterbericht sagte ideales Wetter voraus und so versuchte ich mir einzureden das so eine leichte Bronchitis doch nicht so ein Problem ist. Meine Stimmung hellte sich wieder auf als nach dem Reschensee der Blick in den Vinschgau frei wurde. Ein schönes Fleckchen Erde!



In Prad angekommen entschloss ich mich wegen der Bronchitis 5km weiter in Gomagoi zu starten und dabei die Strecke etwas zu verkürzen.Im nach hinein ein weiser Entschluss! Nicht nur wegen der Bronchitis. Aber der Reihe nach. Bei einem Parkplatz das Auto abgestellt, das Radl ausgeladen und los gings. Was heißt los gings, das Warmfahren war alles andere als optimal da es gleich in die Steigung ging. Also kleinster Gang und langsam anfangen. Ich war noch keine 100m weit als das Rasseln in meiner Lunge anfing, Luft bekam ich soviel wie wenn mir jemand den Hals zudrücken würde.Husten, ausspucken, etwas besser, dann das nächste Rasseln. So ging das bis zu den nächsten drei Kehren. Wirklichen Spaß machte das nicht. Die jungen Radfahrer die mich überholten schauten schon ganz mitleidig zu mir herüber. Es sah so aus als ob Sie dachten, der Alte hat sich wohl etwas zu viel zugetraut.Bei der nächste Kehre hielt ich an, es fiel mir mein „Dopingmittel“ ein, mein altes Asthmaspray. Was für ein Glück, ich fand es in den Tiefen des Rucksacks irgendwo zwischen Ersatzschlauch und Energieriegel ! Das Datum war zwar abgelaufen, geholfen hat es aber trotzdem. Mit viel trinken und mehrmaligen sprühen ging es dann besser. So nach und nach löste sich der Schleim und die Atmung wurde wieder normal. Warmgefahren war ich inzwischen auch, oder besser gesagt, der Schweiß lief mir aus allen Poren. Außerdem kam ich gerade durch das beschauliche Bergdorf Trafoi wo hinter dem Ortsschild einige steile Rampen anfingen.
An einem Hotelparkplatz luden gerade einige braungebrannte, sehnige ältere Herren ihre exklusive Sportgeräte aus. Rennräder vom Feinsten! Als ich das so im vorbeifahren sah, fragte ich mich wann sie mich einholen werden. Wie schon geahnt war es dann fünf weitere Kehren soweit. Ich hörte Sie schon von weitem, es waren Italiener die ein Palaver verführten wie im Wirtshaus. Ich hätte mich mit ihnen nicht unterhalten können, nicht nur weil ich wenig italienisch spreche, sondern weil ich damit zu tun hatte genügend Luft zu bekommen. Was soll ich sagen, die fuhren am mir vorbei, grüßten freundlich, als ob sie bei einem Vatertagsausflug wären. Am Hinterrad zu bleiben, daran war überhaupt nicht zu denken. In solchen Augenblicken nimmt man sich dann vor noch mehr zu trainieren das so was nicht mehr vorkommen kann. Aber heute war ich damit beschäftigt meinen Rhythmus zu finden. Ich weiß nicht wie es Euch geht, aber bei mir ist es so das wenn ich einige Zeit unterwegs bin das Gefühl habe das alles von alleine läuft, im Rahmen meiner Möglichkeiten. Trotz 8% Steigung tut nichts weh, der Puls pendelt sich zwischen 135-140 Schlägen ein, Euphorie kommt auf, man geht seinen Gedanken nach. Unterschiedlich ist bei mir nur, wie lange das anhält. Heute hielt das an bis zum Hotel Franzenshöhe oder auch Kehre 24! Man sollte wissen das die Kehren von unten nach oben mit Nr.48 bis Nr.1 nummeriert sind, eigentlich ganz praktisch. Das heißt ich war bei der Hälfte der Kehren angekommen. Was aber meine Euphorie zum erliegen brachte, man sieht von dieser Stelle aus den Schlussanstieg und der sah alles andere als lieblich aus. Dazu kam noch, man fährt in der prallen Sonne. Auch wenn die Temperaturen hier oben angenehmer waren wie im Tal, so tat die Sonne doch das übrige um einem noch mehr zu zermürben. Es waren nur vereinzelte Wölkchen am Himmel! Was mir aber mehr zu schaffen machte waren die Motorradfahrer die hier hoch ihre private Wettrennen veranstalteten. Fast nicht auszuhalten der Krach und Gestank. Obwohl ich selber auch Motorradfahrer bin ist bei schönem Wetter und am Wochenende die Tour nicht zu empfehlen.
Verpassen sollte man sie aber auch nicht, die Landschaft hier hoch ist wunderschön. Auch die Architektur der Straße selbst, obwohl ich sie so
manches Mal verflucht habe! Von den Qualen her gesehen, sofern man von Qualen reden möchte, man hat sie sich ja selbst ausgesucht, ist zum Beispiel die Silvretta-Hochalpenstraße eine Spazierfahrt! Ich möchte sogar im Vergleich zur Großglockner-Alpenstraße, das Stilfser Joch in der Schwierigkeit noch etwas höher einstufen. Was solls, ich war hier um auf die Passhöhe zu fahren, auch um mir mal wieder was zu beweisen, mehr nicht. Natürlich waren andere schneller unterwegs, mir ging es aber darum in meinem Seniorenalter noch solche Sachen machen zu können. Viele andere in meinem Alter werden so was nie erleben dürfen. Was ich sehr schade finde, weil sie nämlich nie erfahren werden was Sie verpassen. Aber zurück auf die Strecke. An Kehre 24 dann kurzer Halt für Fotos, trinken, Energieriegel und die ersten Anzeichen von kleiner Schwäche! Jetzt schon? Wahrscheinlich zu wenig gegessen. Vor lauter Husterei und Theater zu anfangs , das Essen vergessen. Das Frühstück lag auch schon mehrere Stunden zurück. Das war aber einige Kehren weiter wieder ok und ich war im alten „Trott“. Kurbeln und kurbeln, an das und dies denken, bloß nicht an die Schmerzen die sich bei Kehre 14 so langsam breit machen wollten. Ich war jetzt seit ca.2 Stunden unterwegs und das immer bergauf, ich hatte ja nur noch läppische 6km vor mir! Ich hatte aber das Gefühl,jetzt geht es ans Eingemachte! 6 Kilometer können sehr lang sein. Ich habe das mal erlebt bei einer Tour durchs Karwendel bei 34 Grad. Ich bin fast
gestorben damals! Allerdings war die Situation etwas anders als hier, da hatte ich auf die letzten Kilometer nichts mehr zu trinken. Ich hätte für1 Liter Wasser 50.– Euro bezahlt. Aber hier hatte ich genug zum trinken dabei,daran konnte es also nicht scheitern. Bei Kehre 8 ging es dann richtig los, da musste die Kette auf den kleinsten Gang. Die Überholvorgänge häuften sich, wohlgemerkt, ich wurde überholt und meine Stimmung sank auf den Nullpunkt. Dann kam aber meine Rettung in Form von weißen Buchstaben auf die Straße gemalt: 5km!! Noch ein Riegel eingeschoben, ob der noch was half mag ich bezweifeln, zumindest aus psychologischer Sicht tat er das! Bis zu den Zeichen Kilometer 4 und 3 gings dann auch wieder, ich konnte sogar 2 Gänge hochschalten, vielleicht weil es in diesem Teil der Strecke etwas flacher wurde.Beim Zeichen 2km war es dann soweit. Es war jetzt der absolut kleinste Gang wieder angesagt und ich wusste das wird eine Quälerei. Ich musste sogar für einige Minuten absteigen.



Da halfen alle Hopp-Hopp-Rufe nichts von den Insassen der vorbei fahrenden Cabrios. Total kaputt, noch 2km!! Jetzt fing es an, Umdrehung um Umdrehung, nur noch nach unten schauen, nicht mehr nach vorne. Ich wollte nicht wissen wie weit es noch bis zu nächsten Kehre ist. Das Gefühl in den Oberschenkel ließ sich nicht mehr beschreiben, denn ich hatte keins mehr. So nah am Ziel, ich musste wirklich meine letzten Kräfte mobilisieren und war echt erleichtert als ich das Kilometerzeichen 1 auf der Straße sah. Das gab nochmals Auftrieb, auch das Zeichen noch 200m. Aber am meisten Auftrieb gaben mir die braungebrannten, sehnigen, älteren Herren die lachend an der Passhöhe auf der Mauer saßen. Ich wollte nicht das Sie sehen wie ich die letzten Kilometer gelitten habe. Eine Revanche das habe ich mir geschworen wird es auf
jeden Fall geben. Ich werde das nächste Mal besser vorbereitet und gesund am Stilfser Joch auftauchen…..
Geschafft ist geschafft, egal in welcher Zeit!Ich war schon etwas stolz und erleichtert. Endlich konnte ich auch diese Pass-Straße abhaken, nachdem immer wieder etwas dazwischen gekommen war. Der kleine Abstecher nach Italien auf dem Weg ins Montafon hatte sich gelohnt. Gepasst hatte natürlich auch das Wetter, besser gings eigentlich nicht. Ein kleiner Wermutstropfen waren die Bronchitis und der viele Straßenverkehr. Aber sonst kann mir niemand mehr diese schöne Erinnerung nehmen! Auf dem Rückweg machte ich noch einen Halt auf dem Markt in Glurns um die Kohlenhydratspeicher aufzufüllen. So eine gute Pasta hatte ich schon lange nicht mehr gegessen. Am Reschensee gab es noch einen Kaffee und eine Topfengolatsche mit einer traumhaften Aussicht über den See in den Vinschgau.
Jetzt freute ich mich aber auf Schatzi!
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